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Skiunfall und FIS-Pistenregeln

Skiunfall und FIS-Pistenregeln

OGH vom 5.12.2024, 8 Ob 125/24a:
[1] Am 23. Februar 2019 ereignete sich zwischen den Streitteilen ein Skiunfall, wobei die Klägerin die von oben kommende, hintere Skifahrerin war, die die Beklagte einholte. Die Fahrlinie der Beklagten hielt flache Schwungausfahrtswinkel zwischen 5 und 10 Grad zur Pistenhorizontalen ein. Die Beklagte führte bei ihren längeren Schwungradien den Kopf mit der Bewegung mit. Bei einer solchen Fahrweise wird ein Blickwinkel von jeweils 45 Grad links und rechts wahrgenommen. Bei normaler Aufmerksamkeit, also einem Blickwinkel von 90 Grad, war es der Beklagten 1 Sekunde und mehr vor der Kollision nicht möglich, die Klägerin zu erkennen. Hätte die Beklagte einen größeren Blickwinkel nach rechts eingehalten, und zwar statt 45 Grad 52 Grad seitlich, hätte sie die Klägerin wahrnehmen und unfallverhindernde Maßnahmen treffen können. Bei einem Blickwinkel von 52 Grad nach rechts muss der Kopf nicht gewendet werden, es reicht, bewusst im Sinne einer erhöhten Aufmerksamkeit weiter rechts zu blicken. Hätte die Beklagte in diesem Fall 1,5 Sekunden vor der Kollision reagiert, hätte sie einen Linksschwung einleiten und so den Unfall verhindern können.

Rechtliche Beurteilung
[2] Die Vorinstanzen verneinten ein Verschulden der Beklagten. Dies bedarf keiner Korrektur:

[3] 1.1. Die von verschiedenen Institutionen und Autoren ausgearbeiteten Verhaltensvorschriften für Skifahrer wie die Bestimmungen des „Pistenordnungsentwurfs des Österreichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit“ (POE-Regeln) oder die FIS-Regeln sind keine gültigen Rechtsnormen, insbesondere auch nicht Gewohnheitsrecht. Als Zusammenfassung der Sorgfaltspflichten, die bei der Ausübung des alpinen Skisports im Interesse aller Beteiligten zu beachten sind, und bei der Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, dass sich jeder so verhalten muss, dass er keinen anderen gefährdet, kommt diesen Regeln jedoch erhebliche Bedeutung zu (RS0023793; RS0023410 [T2]).

[4] 1.2. Nach der FIS-Regel Nr 1 (Rücksichtnahme auf andere Skifahrer und Snowboarder) und auch schon nach allgemeinen Grundsätzen muss sich jeder Skifahrer so verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt. Dieser Grundsatz wird durch die weiteren FIS-Regeln, insbesondere die FIS-Regeln Nr 2 (Beherrschung der Geschwindigkeit und der Fahrweise: Jeder Skifahrer muss auf Sicht fahren. Er muss seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise seinem Können und den Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anpassen), Nr 3 (Wahl der Fahrspur: Der von hinten kommende Skifahrer muss seine Fahrspur so wählen, dass er vor ihm fahrende Skifahrer nicht gefährdet) und Nr 4 (Überholen: Überholt werden darf von oben oder unten, von rechts oder links, aber immer nur mit einem Abstand, der dem überholten Skifahrer für alle seine Bewegungen genügend Raum lässt) präzisiert.

[5] 1.3. Der Vorrang des vorderen, langsameren Fahrers ist eine klar erkennbare, der Natur des Schilaufes entsprechende und allgemein anerkannte Verhaltensregel (RS0023404). Wer die Piste nicht quert, ist nicht verpflichtet die Piste auch nach oben zu beobachten und auf von oben kommende Skiläufer Rücksicht zu nehmen; ein Fahren in langgezogenen Schwüngen – wie hier durch die Beklagte – ist dabei einem Queren der Piste nicht gleichzuhalten (RS0023521 [insb T3]).

[6] 2. Dass die Entscheidungen der Vorinstanzen von dieser Judikatur gedeckt sind, bestreitet die Revision nicht. Sie meint vielmehr, diese Rechtsprechung wäre aufgrund der Meinungen von Pichler (Wer hat Vorrang, wer hat Nachrang beim Skifahren? ZVR 2005/33, 116 [FN 12]), Falkner (Aufklärung von Skiunfällen aus technischer Sicht [2010] 10), Gschöpf (Die deliktische Haftung von Skifahrern und anderen Wintersportlern, ZVR 2017/245, 461 mwN) und Manhart/Manhart (Österreichisches Skirecht3 97) dahin weiterzuentwickeln, dass die Aufmerksamkeitsanforderungen über den bei Geradeausblick gegebenen Winkel von 90 Grad (45 Grad nach links und nach rechts) hinaus zu erweitern seien.

[7] 3.1. Auch den Ausführungen der genannten Autoren ist jedoch keine grundsätzliche Pflicht zur Beobachtung nach hinten oder oben zu entnehmen (siehe etwa Manhart/Manhart, Österreichisches Skirecht3 102). Vielmehr bezieht sich die Äußerung von Pichler auf „längere Schrägfahrten“ und jene von Gschöpf auf nicht von einem Vorrang iSd FIS-Regel Nr 3 geprägte Situationen. Der Beitrag von Falkner ist dagegen rein technisch und nicht rechtlich zu verstehen.

[8] 3.2. Da der Vertrauensgrundsatz auch beim Skifahren gilt (RS0023645), durfte die Beklagte darauf vertrauen, dass nachfolgende Wintersportler wie die Klägerin ihren Vorrang beachten und ihr beim Überholen für alle ihre Bewegungen genügend Raum lassen würden.

[9] 3.3. Außerdem darf die Anforderung an Skifahrer, sich so zu verhalten, dass kein anderer gefährdet wird, nicht überspitzt werden, soll das Skifahren nicht unmöglich gemacht werden (RS0023381).

[10] 3.4. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof auch jüngst daran festgehalten, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit – über das Standardblickfeld von 90 Grad hinaus – nur bei Erkennbarkeit einer Gefahrensituation erforderlich ist (10 Ob 21/23w ZVR 2023/205 [krit Gschöpf]). Eine solche Gefahrensituation lag im gegenständlichen Fall aber eindeutig nicht vor.

[11] Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Unsere Meinung dazu

Die Rechtsprechung des OGH zu den FIS-Regeln ist weder neu noch überrascht die vorliegende Entscheidung. Interessant ist jedoch die Begründung der Revision, wonach die Rechtsprechung dahingehend weiterzuentwickeln sei, dass die Aufmerksamkeitsanforderungen an den Vorrangberechtigten (im Hinblick auf seine Beobachtungspflichten) zu erweitern seien. Dem hat der OGH eine klare Absage erteilt. Der von oben kommende Skifahrer (oder Snowboarder) hat den Vorausfahrenden freizuhalten. Der Vorausfahrende muss keine Rücksicht auf von oben kommende Skifahrer oder Snowboarder nehmen - es sei denn, er quert die Piste. Langgezogene Schwünge sind allerdings noch kein "queren der Piste".